Freitag, 20. August 2010

Wer mag schon Gutmenschen?

Als mir in einer Diskussion ein alter Freund mit einer abwehrenden Handbewegung das Wort abschnitt und geringschätzig meinte: "Du bist ja auch schon so ein Gutmensch!" musste ich mich mit dieser Wortschöpfung genauer befassen.

Da wird doch ein an sich durchaus positiver Begriff so lange gedreht und gewendet, bis er ins genaue Gegenteil umschlägt und den Stellenwert eines Schimpfwortes erhält. Noch einigermaßen wohlwollend interpretiert ist der Gutmensch ein naiver, idealistisch gesinnter Zeitgenosse, der die Zusammenhänge und Erfordernisse des Alltags nicht richtig erfassen kann, also eine Species mit besonderem Schutzbedürfnis. Er ist ein mit Nachsicht zu behandelndes Dummerchen, das an verkrusteten Wertmaßstäben festhält und an der harten Realität des Lebens zum Scheitern bestimmt ist. So weit so schlecht.

In den meisten Fällen jedoch wird der Begriff "Gutmensch" dazu missbraucht, seine Meinung herunterzumachen und zu verunglimpfen. Man unterstellt den Gutmenschen, ihre scheinbar übersoziale Einstellung nur als Deckmäntelchen zu nützen, um darunter hintergründig gar nicht anständige Absichten zu verbergen. Mit ihrer weltfremden Einstellung könnten sie der Mehrheit aller offenen und geraden, weil angepassten Zeitgenossen möglicherweise sogar Schaden zufügen.

Also werden Gutmenschen mit anderen Außenseitergruppen und unliebsamen Minderheiten in eine Ecke gedrängt, wo sie sich am Pranger der "kompakten Majorität", wie das Henrik Ibsen so treffend formuliert hat, wiederfinden. Schließlich geht es um nichts Geringeres, als um den Erhalt unserer westlichen Werte, die um jeden Preis rund um den Globus verteidigt und verbreitet werden müssen.

Ganz abgesehen davon, dass mir noch niemand unsere westlichen Werte eindeutig und umfassend erklären konnte, habe ich noch nirgendwo die Definition des Gegenteils von "Gutmensch" gehört. Als "Schlechtmensch" wird sich wohl niemand bezeichnen wollen.

Günter Grass, seines Zeichens Literatur-Nobelpreisträger, hat sich dazu so geäußert: "Als wirklich schlimm empfinde ich es, wenn Bürger, die wie ich in ihrem Land auf Missstände hinweisen, als Gutmenschen bezeichnet werden. So ist ein Totschlagswort in Gebrauch gekommen."

Je länger ich darüber nachgedacht habe, desto deutlicher wurde mir bewusst, dass aus dem Begriff "Gutmensch" genau genommen und völlig unbeabsichtig eigentlich eine Art von Anerkennung und Respekt durchschimmert für jene Leute, die nicht bedingungslos mit der ganzen Herde blöken, oder anders gesagt, nicht mit den Wölfen heulen. Das finde ich so tierisch gut, dass ich es scherzhaft in der Jägersprache ausdrücken möchte: "Mir ist jeder Gutmensch beim Waidloch lieber als ein auf seinen Vorteil bedachte Mitläufer beim Äser"