Dienstag, 20. Dezember 2011

An die Arbeitsfront mit den Rentnern!

Philosophie ist schon was ganz Spezielles. Aus dem Griechischen übersetzt heißt das: Liebe zur Weisheit. Als Philosophen bezeichnet man daher jene Leute, die nach begründeten Einsichten suchen und nach Weisheit streben. Ein wahrhaft hohes Ziel für kluge Köpfe, die auf der Verstandesebene, also im "Einser-Programm" zuhause sind und mit der Spiritualität so gut wie nichts anfangen können. Demgemäß hat sich die Philosophie über tausende Jahre zu einer Erfolgsgeschichte bemerkenswerter Erkenntnisse, aber auch gravierender Fehlleistungen entwickelt. Gerade heutzutage sind neben stillen Denkern vor allem sehr Publicity-süchtige Geistesblitze unterwegs, die sich allzu gerne mit flotten Sagern ins Rampenlicht schieben und markige Sprüche klopfen. Nicht selten kokettieren sie damit, als Bestsellerautoren zu reüssieren. Kürzlich war in der Tagespresse über die atemberaubenden Erkenntnisse eines gewissen Richard David Precht zu lesen. Oftmals ist ja die Bedeutung eines zeitgenössischen Philosophen bereits an der Aufzählung von mindestens zwei seiner Vornamen eindeutig zu erkennen. Selbst der unbedarften Leserschaft wird an dieser Stelle klar, dass hier ein Geisteshero Großes von sich gibt. Der Ruhestand, so sprach der Herr, sei kein erstrebenswertes Ziel. Diese Kernaussage sollten wir uns doch mit Bedacht, aber genüsslich, auf der Zunge zergehen lassen, zumal Herr Precht von dieser Altersschranke noch erfreulich weit entfernt ist. Aus sicherer Entfernung redet sich´s halt leichter. Als Deutscher ist ihm, und das entschuldigt einiges, das Mysterium der österreichischen Seele zu wenig vertraut. Wir jedoch wissen spätestens seit Erwin Ringel, dass der typische Österreicher als Sängerknabe zur Welt kommt, im Laufe seines Lebens zum Lippizaner reift um ehebaldigst als Beamter den ersehnten Ruhestand anzupeilen. Den langen Lebensabend versüßt er sich verdientermaßen mit Mannerschnitten und Mozartkugeln. Unser deutscher Denker bietet einen wundervollen Lösungsansatz für seine Fiktion: Jeder rüstige Pensionist ( wahrscheinlich schließt er auch Pensionistinnen in sein Modell mit ein) soll exakt 15 Stunden pro Woche ein soziales Pflichtjahr leisten und dabei ehrenamtlich, also gratis, weiterarbeiten. Zum Beispiel als Coach für Kinder, als Deutschlehrer für Migranten oder, und das schlägt sogar dem Fass des Diogenes den Boden aus, als Altenbetreuer noch ältere Schicksalsgenossen pflegen. Geht´s noch? Scherz oder humorvoller Wahnwitz? Oder eine Karnevalsnummer? Aber jetzt mal ernsthaft: Wer ist rüstig, wer entscheidet darüber? Wie soll ein durch den aufreibenden Bürodienst ausgelaugter Gemeindeangestellter, wie ein dem Vaterland bis zum drohenden Heldentod dienender Berufssoldat, wie ein ausgebrannter Eisenbahner - und diese Liste könnte man beliebig verlängern - noch die Kraft und die Motivation aufbringen, z.B. jene Kids zu coachen, deren selbst die geschulten Pädagogen nicht Herr werden? Wie soll ein aufrechter und gesinnungstreuer Staatsdiener, der Tag und Nacht alle Strophen unserer Bundeshymne von vorne nach hinten und zurück fehlerlos rezitieren kann und am Nationalfeiertag unaufgefordert die Fahne aus dem Fenster flattern lässt, der sogar im Urlaub an jedem Strand der Welt zeigt, wo die Kultur zu Hause ist, wie soll so einer unseren geschätzten Zuwanderern in allen vier Generationen die deutsche Sprache näher bringen, wenn doch die Mehrzahl der gestandenen Österreicher noch nicht den dritten vom vierten Fall unterscheiden können? Auf den zweiten Fall möchte ich hier verschämt lieber nicht näher eingehen. Zuletzt, wie soll ein Alter andere Alte richtig pflegen und betreuen? Wer zeppelt noch schnell genug, wer zittert mehr, wer kann besser schwächeln? Hier stellt sich das olympische Wetteifern so richtig auf den Kopf: Langsamer, kürzer, tiefer! Jetzt sind wir genau am Punkt, denn tiefgründiger geht es wohl nicht mehr. Eine zwangsweise Verpflichtung dazu, jemandem anderen Gutes zu tun, schlägt immer ins Gegenteil um. Ohne eine persönliche Motivation kann es keinen Erfolg geben. Breiten wir also mit Nachsicht und einem verzeihenden Lächeln die Decke des Vergessens über eine philosophische Schnapsidee. Verlassen wir uns lieber auf die idealistische Bereitschaft von Mitmenschen, die freiwillig anderen Gutes tun wollen. Der Vordenker hat zumindest ein Ziel erreicht, denn Leute wie ich haben sich mit der Skurrilität auseinandergesetzt. Ich erinnere mich an ein lateinisches Sprichwort, das ganz gut zu dieser Geschichte passt:"Si tacuisses philosophus mansisses". Frei übersetzt heißt das: "Hättest du doch lieber geschwiegen, hätte man dich doch tatsächlich für einen Philosophen halten können!"